Beck, Damian (2024). Sensomotorische Unsicherheit im Sport: Bayes-Integration des Vorwissens in Wahrnehmungs- und Handlungsprozesse. (Thesis). Universität Bern, Bern
|
Text
24beck_d.pdf - Thesis Available under License Creative Commons: Attribution-Noncommercial-No Derivative Works (CC-BY-NC-ND 4.0). Download (7MB) | Preview |
Abstract
Bei komplexem sensomotorischen Verhalten wie im Sport entsteht Unsicherheit durch die Mehrdeutigkeit der eingehenden sensorischen Informationen, durch zeitliche Verzögerungen bei der Informationsübertragung sowie durch Rauschen in sensomotorischen Signalen. Der Umgang mit dieser sensomotorischen Unsicherheit ist entscheidend, um beispielsweise einen Tennisrückschlag erfolgreich ins gegnerische Feld zu spielen. Normative Theorien wie die Bayes-Entscheidungstheorie (Körding & Wolpert, 2006) bieten einen vereinheitlichenden Erklärungsrahmen im Umgang mit sensomotorischer Unsicherheit in Wahrnehmungs- und Handlungsprozessen. Konkret sind aus der Grundlagenforschung fünf Mechanismen im Umgang mit sensomotorischer Unsicherheit bekannt und empirisch belegt: (1) Multisensorische Integration, (2) Integration des Vorwissens, (3) Risiko-Optimierung, (4) Redundanz-Ausnutzung und (5) Impedanzkontrolle. Es stellt sich jedoch die Frage, ob Ergebnisse, die auf einfachen Laboraufgaben beruhen, das Verhalten in komplexen Aufgaben erklären. Die Untersuchung dieses Transfers wird weit über die Sportwissenschaft hinaus zunehmend gefordert. In einem ersten Schritt dieser Dissertation wurde daher eine Übersichtsarbeit (Artikel I) über den empirischen Literaturstand zum Umgang mit Unsicherheit im Sport erstellt. Dabei wurde gezeigt, dass die meisten Studien zum Umgang mit Unsicherheit mit komplexen sensomotorischen Bewegungsaufgaben in den Rahmen normativer Theorien passen. Bis auf wenige Ausnahmen werden in diesen Studien aber nicht systematisch die Vorhersagen überprüft, die aus normativen Theorien abgeleitet werden können. Somit wurde durch die Übersichtsarbeit aufgezeigt, dass weitere empirische Forschung notwendig ist, um die Gültigkeit dieser Mechanismen auf komplexe Bewegungsaufgaben übertragen zu können. Daher wurden in einem zweiten Schritt in dieser Dissertation mit Fokus auf dem Mechanismus der Integration von Vorwissen in einer dreiteiligen empirischen Studienreihe Vorhersagen aus der Bayes-Entscheidungstheorie abgeleitet und in den Sportkontext übersetzt (Artikel II, III und IV). Die Resultate bestätigen, dass der Mechanismus der Bayes-Integration des Vorwissens zur Reduktion von Unsicherheit auch in einer komplexen Aufgabe wie dem Tennisrückschlag folgendermassen wirkt: Verschiedene Wahrscheinlichkeitsverteilungen (auch komplexe bimodale) können erlernt werden und beeinflussen mit zunehmender Verlässlichkeit das prädiktive Blickverhalten (Artikel II), die Bewegungsausführung des Rückschlags (Artikel III) sowie in dessen Vorbereitung die Gewichtsverlagerung im Splitstep und optimieren dadurch die resultierende Leistung (Artikel IV). Diese Ergebnisse untermauern somit die Generalisierbarkeit von normativen Theorien basierend auf zwei Jahrzehnten experimenteller Grundlagenforschung. Darüber hinaus wurde mit der dreiteiligen empirischen Studienreihe zum Verständnis beigetragen, wie normative Theorien aus der Grundlagenforschung im Sport zu verstehen sind. Visuelle Unsicherheit tritt im Sport in der Regel durch hohen Zeitdruck auf und damit mit wenig akkumulierter visueller Information wie im Tennis beim Rückschlag schneller Bälle. Dies hat zur Konsequenz, dass das Vorwissen in der kontinuierlichen antizipativen Entscheidungsfindung unter hohem Zeitdruck frühe vorbereitende Bewegungen (Blickbewegungen und Gewichtsverlagerung im Splitstep) beeinflusst. Steht aber genügend Zeit zur Verfügung, können vorhergesagte Zustandsschätzungen durch eingehende sensorische Informationen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Diese Erkenntnis im Kontext aktueller Sensomotoriktheorien trägt somit auch zur klassischen Antizipationsforschung in der Sportwissenschaft bei. So sind interne Vorhersagen im Umgang mit sensomotorischer Unsicherheit in der kontinuierlichen Entscheidungsfindung integraler Bestandteil für die Verhaltenskontrolle. Zudem konnte empirisch geklärt werden, dass Leistungsabnahmen bei unwahrscheinlichen Ereignissen nicht als ‹Fehler› des Systems angesehen werden sollten.Vielmehr sollten die Kosten für Fehlentscheidungen in seltenen Fällen als funktionale Strategie zur Verbesserung der Gesamtleistung betrachtet werden, wie es in der Bayes-Entscheidungstheorie vorhergesagt wird. Ferner konnte gezeigt werden, dass sich Effekte der Bayes-Integration in komplexen Bewegungen zwar mit beispielsweise biomechanischen Effekten überlagern, aber dennoch bedeutend für die Verhaltenskontrolle bleiben. Diese Dissertation zeigt, wie durch den Einsatz virtueller Welten der Transfer von einfachen Laboraufgaben zu komplexem Bewegungsverhalten unter strengen experimentellen Bedingungen und gleichzeitiger hoher externer Validität konkret gelingen kann. Damit leistet diese Dissertation einen Beitrag zum Verständnis, wie Vorwissen in Wahrnehmungs- und Handlungsprozesse im Sport integriert wird und dadurch sensomotorische Unsicherheiten reduziert und komplexe Bewegungsaufgaben bewältigt werden können.
Item Type: | Thesis |
---|---|
Dissertation Type: | Cumulative |
Date of Defense: | 19 December 2024 |
Subjects: | 700 Arts > 790 Sports, games & entertainment |
Institute / Center: | 07 Faculty of Human Sciences > Institute of Sport Science (ISPW) |
Depositing User: | Hammer Igor |
Date Deposited: | 11 Sep 2025 13:52 |
Last Modified: | 11 Sep 2025 13:58 |
URI: | https://boristheses.unibe.ch/id/eprint/6684 |
Actions (login required)
![]() |
View Item |