Oefner, Andreas (2020). Die auserwählten Völker : Politik und Religion in Schweizer Predigten 1830-1860. (Thesis). Universität Bern, Bern
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Abstract
Einleitung: Religiöse Modernen – Problemhinführungen – Es werden die Methode und die mediengeschichtlichen Hintergründe der Quellengattung Predigt geklärt sowie die wesentlichen Fragestellungen der Arbeit skizziert. Als Methode zielt die Pragmatische Semantik darauf, die modernisierungstheoretische Perspektive und in Bezug auf die Geschichte der Schweiz massgeblichen Konzepte der liberal-protestantischen Historiographie zu durchbrechen. Anhand von Begriffsfeldern wird der politische Diskurs untersucht. Das Politische wird dabei in den Predigten im Hinblick auf seine Voraussetzungen, die temporalen Strukturen und die inhaltlichen Bestimmungen analysiert und die hermeneutisch erarbeiteten Begriffsfelder entsprechend zugeteilt. Im Gegensatz zu den Presserzeugnissen sind die Predigten durch die formalisierten homiletischen Konzepte sowie durch biblische und konfessionskulturelle Erzähltopoi geprägt, was die Interpretation der Gegenwartsereignisse wie die Basler Wirren oder den Sonderbundskrieg wesentlich strukturiert. Dabei hat sich gezeigt, dass vor allem die in der Forschung gängigen Grosskategorien „Liberalismus“ und „Konservatismus“ hinsichtlich der politischen Vorstellungen in den Kanzelreden sehr ungenau sind. 1. Kapitel: Der Konservatismus als liberales Phantasma – Die Kantonstrennung in Basel (1825-1835) – Die meisten Pfarrer haben während der Basler Kantonstrennung (1830-1833) für die Stadt Partei ergriffen und sind nicht zuletzt deshalb von der Forschung dem Konservatismus zugeordnet worden. Zunächst kann die Analyse der über die Gottesbilder vermittelten Voraussetzungen des Politischen eine solche Zuordnung teilweise stützen, indem auf der Landschaft über die Ebenbildlichkeit die politische Gleichstellung der Männer im Sinne des Liberalismus gefordert und in der Stadt dagegen politisches Handeln delegitimiert und das individuell-religiöse Leben zu stärken versucht wird. Beide Argumentationen sind in der Perspektive der Geistlichen durch Gott bestimmt. Mit der Analyse der temporalen Strukturen des Politischen wird aber eine solche Zuordnung brüchig. Die prostädtischen und prolandschaftlichen Geistlichen suchen beide Wandel zu legitimieren. Zwar sind die apokalyptischen Deutungen der Gegenwart auf Seiten der Erweckungsbewegung sicherlich dem Fortschrittsgedanken des Liberalismus und der Aufklärung entgegengestellt, lassen sich aber nicht mit einer Verteidigung eines Status Quo oder einer Verfallsgeschichte verbinden. Als Schlüsselbegriff muss das Reich Gottes gelten, das die zeitlichen Diagnosen strukturiert und als utopisches Ideal den entscheidenden Handlungsimpuls der unterschiedlichen politischen und theologischen Richtungen darstellt. 2. Kapitel: La Modernité n’existe pas – Die Ordnung Luzerns (1840-1846) – In Luzern wird in den Kanzelreden evident, dass während den 1840er Jahren in der Analyse des Gottesbildes und der damit verbundenen politischen Implikationen, das Element des „Kampfes“ besonders betont wird. Im katholischen Denken findet sich daher eine durch den Kontext erklärbare spezifische Vorstellung der Auserwähltheit, die der konfessionellen Homogenisierung dient. Deutlich wird bei der Analyse der Luzerner Predigten ebenso, dass die Vorstellung eines christlichen Republikanismus im 19. Jahrhundert einer Präzisierung bedarf. Denn der katholische Republikanimus in Luzern unterscheidet sich zum reformierten Republikanismus in Basel durch die Betonung der Gerechtigkeit, die als Klammer des politischen Handelns angesehen wird und gegenüber Basel weitergehende politische Rechte (Volkssouveränität) zu legitimieren erlaubt. Diese Erkenntnis ermöglicht eine bessere Darstellung der Entwicklungen der direktdemokratischen Elemente auf dem Gebiet der Schweiz. 3. Kapitel: Der grosse Bruch? – Die Bundesstaatsgründung in Luzern und Basel – Im Gegensatz zur nationalliberalen Historiographie und deren Erzähllogik, die die Bundesstaatsgründung als entscheidenden Bruch im Sinne einer Wiederherstellung wahrnimmt, sind für die Geistlichen in Basel andere Ereignisse und Impulse wichtiger, sei es eine Neuinterpretation der Apokalypse oder das Verhandeln von Armut. In Luzern warnen zwar ultramontane Geistliche vor dem Sonderbundskrieg vor dem Untergang des Katholischen, können aber nach der Bundesstaatsgründung, indem auf die stets präsenten kantonalen und biblischen Erzählmuster zurückgegriffen wird, die Ereignisse von 1847 und 1848 ignorieren. Die Legitimationsstrategien der liberalen katholischen Geistlichen zeugen aber vom Bruchcharakter der Bundesstaatsgründung, da sie den Bundesstaat durch das katholische Zeitdenken zu legitimieren suchen. Während in Basel und auf Seiten der liberalen katholischen Pfarrer der Sonderbundskrieg als politische Auseinandersetzung begriffen wird, fassen ihn die Ultramontanen als Religionskrieg auf, was in der spezifischen Ausgestaltung der politischen und religiösen Leitvorstellungen liegt. Der Predigtdiskurs kann insgesamt als vermittelnd begriffen werden. Zwar wird vor allem von ultramontaner Seite der Kampfcharakter und antiprotestantische Aspekt der Identität betont, dennoch finden sich immer wieder Friedensappelle und nicht zuletzt in der Figur von Niklaus von Flüe der Verweis auf das Liebes- und Friedensgebot. In Basel und auf Seiten der liberalen katholischen Geistlichen wird eindeutig um Frieden geworben, gleiches gilt für die Predigten der prostädtischen Geistlichen zur Zeit der Kantonstrennung in Basel. Während sich der Diskurs in der Presse und den Schützenfesten durch Zwietracht und Polemik auszeichnet, ist er in den Kanzelreden zumeist durch die christlichen Wertebezüge gebremst. 4. Kapitel: Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern – Bettagspredigten in Luzern und Basel (1830-1860) – In den konzeptionell auf die Eidgenossenschaft ausgerichteten Bettagspredigten zeigt sich der spezifische nationale Diskurs der Kanzelreden. Im Zentrum steht dabei das Verhandeln der Auserwähltheit. Die Reformation bildet dabei in Verbindung mit der Vorstellung der Auserwähltheit für beide Konfessionen das entscheidende Narrativ. Die Nation wird diesbezüglich als religiöse Willensnation verstanden. Die Reformation wird in Basel als Erneuerung in Luzern dagegen als entscheidender Verfallsmoment der nationalen Erzählung begriffen. Eine homogenisierende überkonfessionelle Konzeption der Schweiz kann daher aufgrund der bestimmenden konfessionellen Identität auch in den Bettagspredigten nicht gefunden werden. Die mit ihrem Narrativ teilweise bis heute dominierende liberal-protestantische Historiographie hat diese Konzeptionen der Nation bisher mehrheitlich übersehen. Während aber in Luzern die andere Konfession sehr stark thematisiert wird, findet sich eine vergleichbare Auseinandersetzung in Basel nicht. Generell fehlt in Basel vor allem in Bezug auf die Handlungsanweisungen in den Predigten der eidgenössische Bezug. Die Bettagspredigten sind in Basel, im Gegensatz zu anderen reformierten Bettagspredigten und in Luzern, auf den Kanton bezogen. Schlussbetrachtung: Die auserwählten Völker und der politische Diskurs der Predigt – Grundsätzlich ist der nationale Diskurs von einem Oszillieren zwischen Zugehörigkeit und Distanz geprägt, was den Geistlichen insbesondere während krisenhafter Momente wie der Kantonstrennung und dem Sonderbundskrieg erlaubt, die Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft als unbestritten zu beschrieben. Damit begünstigt die föderale Struktur des Bundes den nationalen Zusammenhalt, der eben gerade trotz der auch nach der Bundesstaatsgründung weiter existierenden unterschiedlichen nationalen Konzepte und Vorstellungen besteht.
Item Type: | Thesis |
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Dissertation Type: | Single |
Date of Defense: | 14 October 2020 |
Subjects: | 200 Religion 900 History |
Institute / Center: | 06 Faculty of Humanities > Department of History and Archaeology > Institute of History |
Depositing User: | Hammer Igor |
Date Deposited: | 07 Jun 2022 14:09 |
Last Modified: | 07 Jun 2022 14:15 |
URI: | https://boristheses.unibe.ch/id/eprint/3579 |
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